Manager treffen nur zu einem sehr geringen Anteil rationale Entscheidungen
Manager werten Fakten aus und wägen Alternativen ab, bevor sie entscheiden – so lautet die gängige Vorstellung. Mit der Realität hat diese Annahme allerdings wenig zu tun, sagt Christian Chlupsa. Seit vielen Jahren erforscht er das Entscheidungsverhalten von Managern. Nun hat er ein Buch mit den Quintessenzen seiner Arbeit veröffentlicht. Im Interview erklärt er, warum gute Managemententscheidungen selten rational sind.
Sie haben umfangreiche Testverfahren durchgeführt, um zu untersuchen, wie rational Manager entscheiden.Was haben Sie herausgefunden?
Christian Chlupsa: Häufig gewinnt man den Eindruck, die Entscheidungen von Managern seien wohlüberlegt. Das ist Quatsch! Manager treffen Entscheidungen genauso oft aus dem Bauch heraus wie alle anderen Menschen auch. Den Anschein von Rationalität erhalten diese intuitiven Entscheidungen erst durch einen einfachen Trick: Sie werden im Nachhinein gerechtfertigt. So wird vertuscht, dass eigentlich aufgrund von Formen, Farben, Schönheit, Sympathie und nicht mithilfe von Zahlen, Daten, Fakten entschieden wurde.
Wie kann man sich das in der Management-Praxis vorstellen?
Nehmen wir zum Beispiel den Dienstwagen. Ein Manager entscheidet sich letztlich für den Audi A4, weil er ihm gefällt und nicht, weil er vielleicht ein paar 1.000 Euro günstiger ist als der 3er BMW, weil er ein paar Liter weniger verbraucht oder weil er 20 Prozent rabattiert ist. In der Forschung werden diese nicht rationalen Prozesse, die Einfluss auf unser Verhalten haben, implizit – oder unbewusst – genannt. Dennoch werden später häufig rein rationale Gründe wie eben Preis/Leistung, Verbrauch oder Rabatt angeführt, um die Entscheidung zu rechtfertigen, zu legitimieren. Ähnlich ist es auch bei der Personalauswahl. Am Ende wird meistens der Bewerber eingestellt, der im Gespräch am sympathischsten war und am besten zum Unternehmen passt und nicht derjenige, der vielleicht drei statt zwei Praktika gemacht hat oder eine Sprache mehr spricht. Wir müssen uns dabei immer vor Augen halten: Die explizite, also auf Fakten basierende, Wahrnehmung spielt in unserem Leben nur zu drei bis maximal fünf Prozent eine Rolle. Der Rest läuft völlig automatisiert und somit unbewusst ab.
Das klingt, als hätten wir wenig Einfluss auf den Entscheidungsprozess …
Ja, normalerweise schon. Stellen Sie sich vor, Sie kaufen sich regelmäßig irgendwo ein Kaffeeprodukt. Wenn ich Sie nun vor einen Kaffeeautomaten stelle, ist Ihre Entscheidung für den Latte Macchiato oder den Cappuccino im Regelfall bereits nach 250 Millisekunden gefallen. Das konnten wir durch ein Experiment feststellen. In dieser kurzen Zeitspanne ist der Entscheidungsimpuls aber noch gar nicht bis ins Bewusstsein vorgedrungen. Das heißt, eine solche Entscheidung kann gar nicht rational sein.
Das muss aber nicht schlecht sein, oder?
Nein, im Gegenteil. Das ist sogar ziemlich gut. Wenn Sie jedes Mal vor dem Kaffeeautomaten alle Alternativen abwägen und Preise vergleichen würden, wäre das ein enormer Zeitaufwand und unnötige Energieverschwendung. Und normalerweise können wir uns da auch absolut auf unsere Intuition verlassen, weil wir wissen, was uns schmeckt. Wir kaufen den Kaffee ja nicht zum ersten Mal. Und jetzt kommen wir an den Punkt, der ausschlaggebend für Bauchentscheidungen ist: die Erfahrung. Mit genug Erfahrung können wir im Bruchteil einer Sekunde Entscheidungen treffen, über die andere Menschen sehr lange nachdenken müssen und das Beste an diesen Entscheidungen ist: Sie sind so gut wie immer richtig.
Das heißt, erfahrene Manager treffen schnell die richtigen Entscheidungen?
Genau. Wenn jemand Experte auf seinem Gebiet ist – und das ist er, wenn er sich etwa 10.000 Stunden mit einem Thema beschäftigt hat – , muss er nicht mehr lange überlegen, sondern trifft in der Regel aus dem Bauch heraus die richtigen Entscheidungen. Es braucht nur den Mut aller Beteiligten, intuitive Entscheidungen auch zuzulassen.
Fehlt es Unternehmen an diesem Mut?
In vielen Unternehmen kommt es gar nicht erst so weit, weil es häufig eine hohe Fluktuation auf der Management-Ebene gibt. Dass Manager länger als fünf Jahre auf einer Position bleiben, ist eher selten. Das ist das erste Problem. Das zweite ist: Häufig kaufen Unternehmen sehr gute Manager aus anderen Bereichen oder Branchen ein, in der Erwartung, sie würden im neuen Unternehmen genauso viele richtige Entscheidungen treffen. Das Resultat: Die Intuition fehlt, die Entscheidungsfindung ist langwierig und zähflüssig, das Ergebnis nicht immer befriedigend. Und selbst wenn es erfahrene Manager im Unternehmen gibt, wird ihnen häufig nicht bedingungslos vertraut. Das ist das dritte Problem.
Was würden Sie Unternehmen also raten?
Viele Unternehmen betreiben einen enormen organisatorischen Aufwand, um vermeintlich rationale Entscheidungen zu evozieren. Sie bilden z.B. Einkaufsgremien, sogenannte Buying Center, in denen zig Leute sitzen. Das ist total überflüssig und kostet nur Zeit und Geld. Unsere Forschungsergebnisse machen deutlich: In solchen Gremien werden nur reine Bauchentscheidungen getroffen. Das können Unternehmen auch einfacher und günstiger haben. Ich rate ihnen daher, erfahrene Manager und Experten so lange wie möglich zu halten und diese einfach mal machen zu lassen. Das heißt, Vertrauen schenken und nicht immer gleich fordern: ‘Also diese Entscheidung müssen Sie mir jetzt aber mal begründen.’ Das führt nur zu unnötigen Post-Legitimationen. Daher mein Ansatz: Haben Sie ein bisschen mehr Mut und denken Sie bewusst unbewusst!
Christian Chlupsa ist Professor für allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management in München sowie Inhaber des Beratungsunternehmens Branding Code. Kontakt: www.branding-code.com. Zudem ist er Autor des Buches:
Christian Chlupsa: Der Einfluss unbewusster Motive auf den Entscheidungsprozess – Wie implizite Codes Managemententscheidungen steuern. Springer Gabler, Wiesbaden 2017, 44,99 Euro.
Wie wirken sich implizite – also unbewusste – Motive auf die Entscheidungen von Menschen aus? Dieser Frage geht Christian Chlupsa in seinem neuen Buch nach. Neben seinen eigenen Forschungsergebnissen aus den Bereichen Sales, Marketing und Betriebswirtschaft bezieht er auch Erkenntnisse aus Psychologie und Neurologie in seine Untersuchung mit ein und stellt dabei fest: Wir entscheiden gar nicht so rational, wie wir glauben.
Autor(en): Das Interview führte Sarah Lambers